Belm I Neue Osnabrücker Zeitung vom 02. Dezember 2017

Der CDU-Landeschef und niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann hat sich bei der Aufarbeitung der Landtagswahlniederlage beim Parteitag des CDU-Kreisverbands Osnabrück-Land am Freitagabend in Belm selbstkritisch gezeigt: „Es stellt sich die Frage, ob wir noch das Ohr am Bürger haben.“

Althusmann konstatierte, dass Politiker in der Käseglocke Berlin oder Hannover dazu neigen, „die Alltagsprobleme der Menschen manchmal aus dem Blick zu verlieren“. Themen wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, flexible Kita-Öffnungszeiten, die sich an die Bedürfnisse der Eltern anpassen, und Pflege im Alter müssten laut Althusmann mehr Bedeutung beigemessen und stärker in den Fokus gerückt werden. So wie er die enttäuschende niedersächsische Landtagswahl nun analysiere, so erwarte er nach dem schlechtesten CDU-Bundestagswahlergebnis seit 1949 als CDU-Landesvorsitzender, „dass es nun auch im Bund zu einer vernünftigen Aufarbeitung der Ergebnisse kommt“. Zuvor hatte bereits der CDU-Kreisvorsitzende Christian Calderone Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür kritisiert, dass sie trotz eines Verlusts von mehr als acht Prozent der Stimmen auf ein „Weiter so“ setze. Am Abend der Bundestagswahl habe sie gesagt, sie sehe nicht, was man hätte anders machen können. „Ein wenig Demut wäre da durchaus angebracht gewesen. Es ist auch ein schlechtes Signal, den geplanten Bundesparteitag am 16. Dezember abzusagen.“ Das Scheitern der Jamaika-Sondierungen sei kein Grund, das Delegiertentreffen nicht dennoch einzuberufen, um die Wahl aufzuarbeiten.

Althusmann räumte ein, dass er im Wahlkampf einige Punkte unterschätzt hatte: „Wir dachten, Mutti macht das schon und am Ende können wir uns alle zurücklehnen. Diese Strategie ist nicht aufgegangen.“ Bei der Landtagswahl drei Wochen nach der Bundestagswahl sei der erwartete Rückenwind einfach ausgeblieben. Zudem habe man seinen Bekanntheitsgrad überschätzt. Er betonte: „Die Zeit war für mich als Kandidat zu kurz, um meinen Bekanntheitsgrad zu stärken. Das haben wir alle in der Vorbereitung falsch eingeschätzt.“ Der um drei Monate vorgezogene Wahltermin habe sich als schädlich erwiesen. Der Wechsel von Elke Twesten von den Grünen zur CDU sei „in der medialen Kommunikation höchst problematisch“ gewesen. Der SPD sei es gelungen, „unter dem Stichwort Intrige das Thema gegen uns zu wenden“. Althusmann zeigte sich überzeugt, dass das in Niedersachsen entscheidend Vertrauen gekostet habe.

Am meisten Applaus bekam Althusmann, als er in seiner Rede die CSU kritisierte. Dass CDU und CSU sich kurz vor der Wahl erneut über das Thema Obergrenze für Flüchtlinge gestritten hätten, sei sicherlich nicht förderlich gewesen. „Wir müssen deutlich machen, dass sich das für eine Unionsschwester in so politisch heißen Tagen nicht gehört. Als Landesverband Bayern kann man sich auf Unionskosten nicht so profilieren“, rügte Althusmann. Zudem müsse die Kampagnenfähigkeit der Partei überprüft werden. Althusmann blickte zurück: „Wir hatten nur zwei Leute, die uns über Twitter und Facebook kampagnenfähig machen konnten. Wir müssen zielgerichtete und bessere Antworten geben können.“ Auch die Kreis- und Bezirksgeschäftsstellen müssten sich die Frage stellen, ob sie ausreichend verknüpft und kampagnenfähig sind. Althusmann sieht da „noch viel Luft nach oben. Wir haben verstanden, dass wir uns in einigen Punkten verändern müssen.“

Den CDU-Kreisverband Osnabrück lobte Althusmann wegen der vergleichsweise guten Wahlergebnisse als „die Bastion der CDU in Niedersachsen“. Zudem bekräftigte Althusmann noch einmal, dass er den Ersten Kreisrat Stefan Muhle als zweiten Staatssekretär im Wirtschaftsministerium einsetzen will. Sein künftiger Arbeitsschwerpunkt soll die Erarbeitung und Umsetzung eines Masterplans Digitalisierung für Niedersachsen sein. „Wir sind ein digitales Entwicklungsland.“ Die digitale Infrastruktur sei notwendig, um Wohlstand zu erhalten und Herausforderungen im Bereich Gesundheit wie etwa in der Telemedizin anzupacken. Althusmann will beim Ausbau von Breitband und Mobilfunk „nicht kleckern, sondern klotzen“.

Dem stellvertretenden Ministerpräsidenten sei es zudem wichtig gewesen, keine weiteren Förderschulen in Niedersachsen zu schließen, „weil es zu einer totalen Überforderung von Eltern und Schülern geführt hätte“. Eine gelingende Inklusion benötige ausreichend Zeit. Zudem versprach er, wieder für ein Miteinander von ökologischer und konventioneller Landwirtschaft zu sorgen und mit der neuen CDU-Agrarministerin Barbara Otte-Kinast das Vertrauen der Landwirte in die Politik zurückzugewinnen.

Der Vorsitzende des CDU-Stadtverbands Dissen, Heiner Prell, erinnerte an das Aus des Krankenhauses in Dissen und die Verlagerung der Homann-Produktion aus Dissen nach Leppersdorf. Dadurch müsse die Stadt Konzepte für zwei große Brachflächen finden. „Das ist eine außergewöhnliche Herausforderung und überfordert uns finanziell.“ Mit der Bitte um Unterstützung lud Prell daher Althusmann nach Dissen ein. Der Wirtschaftsminister kündigte an, der Einladung zu folgen.

Der Vertreter der allgemeinbildenden Schulen im Landkreis-Bildungsausschuss und Leiter der Georgsmarienhütter Comeniusschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen, Andreas Viehoff, zeigte sich nicht zufrieden mit der Regelung, dass die Schulträger künftig lediglich beantragen können, Förderschulen Lernen lediglich vier Jahre weiterlaufen zu lassen. Er kritisierte, dass die Förderschulen Lernen nicht erhalten bleiben. Es müsse auch weiterhin Wahlfreiheit bestehen. Viehoff betonte: Viele haben die CDU gewählt, weil sie erhofft haben, dass die inklusive Schule überdacht wird, um wirklich alle Schüler mitzunehmen.“ Auch Landrat Michael Lübbersmann forderte eine Wahlfreiheit auch für Förderschulen im Bereich Lernen: „Nur ein Bestandsschutz ist nicht ausreichend. Chancengerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit bedeutet eine Förderung auf Basis der individuellen Begabung“, betonte Lübbersmann. Althusmann entgegnete: „Der SPD war das Auslaufen der Förderschule Lernen in den Koalitionsverhandlungen sehr wichtig.“ Die nun gefundene Lösung mit langen Übergangszeiträumen sei ein Kompromiss. Es bestehe nun bis zum Jahr 2022 die Möglichkeit, auch mit den entsprechenden Lehrkräften die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die Inklusion gelingt.