Bookholzberg I Delmenhorster Kurier vom 15.07.2015
„Das Thema Patientensicherheit ist kein politisches Alltagsthema. Es ist durch schreckliche Vorfälle auf die Tagesordnung gerutscht“, erklärte der CDU-Landtagsabgeordnete Ansgar Focke den rund 30 Gästen zu Beginn eines Kreisparteiausschusses zum Thema am Montagabend in der Gaststätte „Zum Schwarzen Ross“ in Bookholzberg. Nicht nur menschlich, sondern auch politisch und juristisch müssten die Morde von Niels H. aufgearbeitet werden. Zu diesem Zweck hatte die CDU mit Christian Marbach den Sprecher der Hinterbliebenen der Opfer und mit Christian Calderone den Vorsitzenden des Sonderausschusses „Stärkung der Patientensicherheit und des Patientenschutzes“ eingeladen.
„Es war schwierig für die Angehörigen, Gehör zu finden“, sagte Marbach, dessen Großvater 2003 im Klinikum Delmenhorst starb, und sprach von einer „Hölle, durch die die Hinterbliebenen gegangen sind“. Unerklärlich sei für ihn, warum die Staatsanwaltschaft Oldenburg trotz klarer Hinweise von Ärzten und Pflegern auf eine Vielzahl an Opfern zunächst in nur einem Fall ermittelt habe. „Das muss man erst einmal schaffen, 200 Tote auszublenden“, kritisierte Marbach. Immer wieder hätten die Hinterbliebenen Druck ausüben müssen, bis das Verfahren 2014 noch einmal aufgerollt worden sei. Zudem hätten weder die Mortalitätsbesprechungen in der Klinik, die Weitergabe der verdoppelten Todesfallzahlen an das Landesamt für Statistik oder der gestiegene Medikamentenverbrauch die Mauer des Schweigens in der Klinik durchbrochen und die Mordserie gestoppt. „Das Schweigen hat die Menschen getötet“, warf er Mitwissern vor, von denen acht bereits in das Visier der Staatsanwaltschaft geraten seien.
Damit die vielfältigen Versagen aufgearbeitet und künftig verhindert werden können, hat sich im Niedersächsischen Landtag der Sonderausschuss „Patientensicherheit“ dem Thema angenommen. Die insgesamt 15 Mitglieder versuchen nachzuvollziehen, wie es zu der Mordserie kommen konnte, um bis März 2016 eine Handlungsempfehlung geben zu können. Unter anderem sollen Gespräche mit dem Psychiatrie-Professor Karl H. Beine, den Leitungen der Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst, mit den Hinterbliebenen, der Arzneimittelkommission und der ermittelnden Polizei den Politikern ein umfassendes Bild vermitteln.
„Die Aufgabe ist es, Tötungen in Schutzräumen künftig zu erschweren“, sagte Calderone. Dazu müsse man sich die Frage stellen, wie Kliniken sowohl mit den Patienten als auch mit dem Pflegepersonal umgehen. Zusammenlegung von Kliniken, immer kompliziertere Operationen und Techniken sowie immer mehr Druck in den Einrichtungen würden zu Unsicherheit und Sprachlosigkeit zwischen den Ärzten und dem Pflegepersonal führen. „An Tatorten, die Professor Beine im Rahmen seiner Forschung untersuchte, wurde nicht miteinander gesprochen“, machte auch der Vorsitzende das Problem des Schweigens deutlich. Oft gelten die Täter bereits im Vorfeld unter Kollegen als „Todesengel,Vollstrecker oder Todespfleger“. Auch im Fall Niels H. habe es lange Zeit vor der Anklage Verdachtsmomente gegeben. „Aber die Eindrücke blieben auf den Stationen“.
Im Arbeitsalltag fehlten laut Calderone die Ansprechpartner und die Achtung für die geleistete Arbeit. „Krankenhäuser sind kein Warenhaus, in dem einer ein Herz und ein anderer ein Knie kriegt“, machte der Vorsitzende deutlich. In Zukunft sei deshalb vieles zu tun. Das Vier-Augen-System bei der Medikamentenkontrolle, ein Rotationssystem für die Pfleger sowie psychische Beratung seien nur einige der Änderungsideen. Ein anderer Geist könne in Krankenhäusern nur herrschen, wenn sie nicht nur betriebswirtschaftlich betrachtet werden würden, folgerte er.