Bookholzberg I Delmenhorster Kreisblatt vom 15.07.2015

Der Arbeitsalltag entmutige, wenn Pflege Fließbandarbeit wird: Über erste Erkenntnisse aus dem Sonderausschuss Patientensicherheit hat Vorsitzender Christian Calderone im Schwarzen Ross berichtet.

„In die Pflege muss mehr Geld“: Diese Forderung hat Christian Marbach, Sprecher der Hinterbliebenen der Opfer von Todespfleger Niels H., am Montagabend beim CDU-Kreisparteiausschuss zum Thema „Verbesserung der Patientensicherheit – Welche Lehren ziehen wir aus der Krankenhausmordserie in Niedersachsen“ gestellt. CDU-Landtagsabgeordneter Ansgar Focke bilanzierte, dass das Hingucken forciert werden müsse, die Kommunikation untereinander wichtig sei und Verantwortlichkeiten im System geschaffen werden müssten.

Christian Calderone (CDU), Vorsitzender des im Februar gegründeten Sonderausschusses Patientensicherheit im Landtag, berichtete, dass man auf andere Vorfälle schaue, die dem Fall Niels H. ähnelten – Patiententötungen in der Altenpflege und anderen Kliniken. Die Taten seien deshalb so verstörend, weil sie in Schutzräumen geschehen seien. Geprüft werde, ob es Fehler in den Kliniken und bei Justiz und Ermittlungsbehörden gegeben habe. Man sei noch am Anfang der Arbeit. Im März 2016 solle der Landtag einen Bericht erhalten, auf dem weitere Schritte basieren könnten.

80 Prozent der Menschen in Deutschland sterben laut Calderone in Pflege- oder Altenheimen oder in Krankenhäusern. Zwischenfazit sei: „Es gibt nicht den Faktor, der Tötungen verhindert.“ Ein Aspekt sei die Achtung vor dem Patienten.

Eine Vielzahl von Operationen, die Zusammenlegung von Stationen: Die Arbeitsfülle könne zu Sprachlosigkeit zwischen Ärzten und Pflegepersonal führen. Wie Psychiater Professor Karl Beine dem Ausschuss berichtet habe, wurde an allen zehn von Beine untersuchten Tatorten von Patiententötungen nicht gesprochen. Auch habe die Hierarchie nicht funktioniert. Menschen, die Verdächtigungen aussprachen, seien von der Leitung weggeschickt worden. Unregelmäßigkeiten bei der Medikamentengabe „wurden jahrelang toleriert“. Der Arbeitsalltag entmutige, „wenn die Pflege Fließbandarbeit wird“.

„Wir müssen Mortalitätskonferenzen einführen“, sagte Calderone. Dort solle besprochen werden, ob der Tod eines Patienten plausibel ist. Auch auf die persönliche Situation des Pflegers müsse eingegangen werden – etwa darauf, ob er immer auf der Intensivstation arbeiten könne. Schwierige Rahmenbedingungen, so Calderone, führten aber nicht zwangsläufig zu Taten.

Marbach schilderte seine persönliche Geschichte – sein Großvater war eines der Opfer von Niels H. Mit 78 Jahren sei er ins Klinikum Delmenhorst gekommen, und 14 Tage nach dem Eingriff habe er zweimal innerhalb von kurzer Zeit reanimiert werden müssen, ohne dass es einen Grund gegeben habe. „Das war 2003, am Anfang der Serie“ – sie dauerte bis 2005 an. 2005, so Marbach, sei oft gesagt worden: „Ihr könnt den halben Friedhof hochnehmen.“ Er warf Klinikumsmitarbeitern und Justiz Versagen vor. Erst 2014 sei das Verfahren eröffnet worden.

H. wurde Ende Februar 2015 für fünf Taten verurteilt. Eine Sonderkommission der Polizei geht rund 200 Verdachtsfällen nach, davon mehr als 170 am Klinikum Delmenhorst. H. hatte den Patienten ein Herzmedikament verabreicht, durch das lebensbedrohliche Situationen entstanden. Dann hatte er, so ein Gutachter vor Gericht, die Patienten retten zu wollen, um Anerkennung zu bekommen.
„Mit Niels H. sind wir durch“, so Marbach. Gegen acht Mitarbeiter des Klinikums werde strafrechtlich ermittelt. Ein entsprechendes Urteil werde ein Signal an die Branche senden. Der Täter sei der beste Zeuge.

Er fordert, dass Menschen, die einen Verdacht äußern, nicht als Nestbeschmutzer gelten dürften: „Schweigen tötet Menschen.“ H. sei nicht nur Täter, sondern auch Opfer: Er habe regelmäßig mehr als zehn Stunden gearbeitet, sei nachts Rettungswagen gefahren.
Regelungen zum Arbeitsschutz müssten eingehalten werden, forderte Marbach. In der Ausbildung müsse ein Wertekodex gelehrt werden. Aus den Publikum erklärte ein Krankenpfleger, dass die Arbeitszeiten 40 bis 50 Stunden in der Woche umfassten. In den Krankenhäusern fehlten Pflegekräfte. Auch für Calderone sind die Entlastung der Pflege, Medikamentenkontrolle und Supervision wichtige Themen.